Mein Jakobsweg-Tagebuch Woche 1

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Hier erscheint jeden Tag ein neuer Tagebucheintrag aus der ersten Woche meiner 88-tägigen Reise. In der ersten Woche war ich fleißig und habe jeden Tag Tagebuch geschrieben. Der neuste Tagebucheintrag steht unten. Du kannst meinem Kopf beim Rattern und Springen von A nach B zusehen – viel Spaß dabei.

Vorab gibt’s die erste Woche in der Übersicht:

Woche 1 meines Jakobsweges - Jakobsweg-Tagebuch

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Tagebucheintrag von Freitag, den 17.07.2015:

Tag 1, Strecke: Köln – Bonn, 39km – ca. 180hm

Heute ging es los auf den Jakobsweg. Anstrengende 39km von Ehrenfeld nach Bonn. Der Weg zieht sich am Rhein entlang. Das ist häufig wunderschön, auf dieser Strecke aber auch industrielastig. Außerdem war es ziemlich heiß. Meine Füßen qualmen. Ich schreibe morgen weiter, es ist schon spät.

Ich erinnere mich noch gut an den ersten Wegweiser – die Jakobsmuschel befindet sich in Köln-Rodenkirchen

Tagebucheintrag von Samstag, den 18.07.2015:

Tag 2, Strecke: Bonn – Sinzig, 43km – ca. 1.000hm

Tag zwei ist vorbei. Nachdem ich gestern in Köln von der Aktionsgruppe Köln der Albert-Schweitzer-Stiftung (für die ich auf meinem Weg Spenden sammle) verabschiedet wurde, habe ich abends meine Freundin zum letzten Mal für die nächsten 100 Tage gesehen. Das war ein harter, tränenreicher Abschied.

Heute bin ich in Sinzig angekommen und übernachte in einem Hotel für 60€. So war das nicht geplant, aber ich hab mich zu spät gekümmert und es gibt nicht besonders viele Unterkünfte hier. Die Strecke war landschaftlich toll, auch wenn 40km sehr anstrengend sind. Aktuell bereitet mir jeder Muskel im Bein Schmerzen und der Rücken ist mit dem Rucksackgewicht überfordert – ultraleicht ist mir nicht leicht genug. Obwohl ich meinem Körper so viel abverlange, war ich heute gelegentlich genervt, wenn es nicht so schnell voranging. Noch eine Woche, dann ist der körperliche Aspekt wahrscheinlich kein Problem mehr. Dann kommt der mentale Aspekt zum Tragen. Bis dahin züchte ich weiter Blasen am Fuß – ich hatte nie Probleme mit Blasen aber jetzt habe ich zwei richtige dicke Blasen an der Ferse.

Das Alleinsein macht mir gerade noch nichts aus, ich nutze jedoch noch häufig mein Handy. Durch es habe ich die Möglichkeit mit Familie und Freunden in Kontakt zu treten, wenn ich mich allein fühle. Aber es ist schon wieder spät, ich geh schlafen. Alles schmerzt. So merk ich aber,  dass ich am Leben bin.

Der linksrheinische Jakobsweg bietet immer wieder tolle Ausblicke auf den Rhein. Die Steigungen verlangen mir einiges ab, aber sie werden belohnt.

Tagebucheintrag von Sonntag, den 19.07.2015:

Tag 3, Strecke: Sinzig – Andernach, 24km – ca. 670hm

Ich hab gerade mein erstes kleines Tief. Und das schon am dritten Tag. Ich werde der Blasen nicht Herr und meine Ernährung ist bisher nicht so, wie ich sie mir vorstelle. Ich mache mir Sorgen, nicht genügend Kalorien zu mir zu nehmen – je nach Strecke verbrenne ich ca. 1.000 bis 2.500kcal zusätzlich am Tag. Außerdem esse ich zu unregelmäßig und zu viel Schrott (aka Fleischersatzprodukte) aber in den Hotels ist Kochen unmöglich. Restaurants gibt es nur wenige, viele kommen für Veganer nicht in Frage.

Dazu kommen dumme Anfängerfehler: ich habe meine Socken und Schuhe nicht einlaufen. Ich habe meinen Rucksack vorher nicht bei einer Wanderung getragen. Noch nie hab ich so lange am Stück so viel Gewicht auf den Schultern getragen. Meine Füße schmerzen abends. Dass es weh tun würde war klar, aber muss es so schmerzhaft sein? Ich hab’s mir aber einfacher vorgestellt. An Tag drei!!!

Aber jetzt hab ich genug geheult. Der Weg von Sinzig (Bad Bodenbach) nach Andernach war wunderschön. Mein Kopf rattert die ganze Zeit. Diese Momente der inneren Stille sind ein Frieden. Dann fühle ich mich frei und habe das Gefühl, mit der Natur zu verschmelzen. Für dieses Gefühl gehe ich den Weg. So, jetzt Füße eincremen und dann geht’s morgen früh weiter nach Koblenz.

Die Vulkaneinfel gleicht bei regnerischem Wetter einem Märchenwald. Hier habe ich einige Minuten einfach den Wald „inhaliert“ und bin mit der Natur „verschmolzen“.

Tagebucheintrag von Montag, den 20.07.2015:

Tag 4, Strecke: Andernach – Koblenz, 28km – ca. 400hm

Ganz ehrlich: Wenn ich das Tagebuch nicht hätte, wüsste ich bereits nicht mehr, welcher Wochentag gerade ist. Das zeigt mir, wie intensiv die Zeit hier ist. Die Bedingungen sind nicht die Besten, aber außer auf den letzten 5km lamentiere ich sehr sehr wenig und komme immer wieder in einen Flow, in dem ich einfach nur einen Fuß vor den anderen setze. Gerade hilft mir Musik dabei stark. Ich benutze das Handy schon weniger als an den ersten Tagen, muss mich aber oft dazu auch zwingen, es in der Hosentasche zu lassen.

Der Weg fühlt sich gut und richtig an, auch wenn alles schmerzt. Heute, auf der Etappe von Andernach nach Koblenz, bin ich wieder in den Barfussschuhen gegangen – es tut meinen Füßen gut aber ich habe es nicht bis zum Ende durchgehalten. Eigentlich könnte ich jetzt schon den ersten Tag Pause vertragen, aber ich habe Angst, dass ich danach nicht mehr los möchte. Deshalb mache ich keine Pause.

Damit ich frisches Obst und Gemüse bekomme musste ich heute morgen einen Umweg gehen und bin deshalb erst um 11 Uhr losgekommen. Supermärkte gibt es überall. Mein Problem ist, dass ich ziemlich verkrampft die Route einhalten will. Das geht leider nicht immer, da die Supermärkte nicht zwangsläufig direkt an der Route liegen. Zugleich bietet Google nur eine sehr schlechte Supermarktsuche, weshalb sich das Auffinden von Märkten in kleinen Orten als schwierig herausstellt. Ich will keine 2 bis 3km Umweg einlegen. Jeder Schritt am Ende schmerzt – da kann ich keine zusätzlichen Schritte gebrauchen. Hinzu kommt, dass ich Ausschlag von den Socken bekomme und die Blasen größer werden.

Heute morgen hat sich beim Bäcker eine Dame rührend um mich gekümmert und wechselte zwischen Bewunderung und Angst um mich – ich hab mir vor der Bäckerei die Blasenpflaster (nimm‘ besser die Socken statt Blasenpflaster!) angelegt. Im Laufe des Tages habe ich auch mit zwei anderen Anwohnern ein paar Worte gewechselt. Die Abwechslung ist gut aber bisher hab ich kein Problem mit der Einsamkeit.

So, jetzt geh ich aber ins Bett. Morgen muss ich früher los: es stehen 34km und über tausend Höhenmetern auf dem Programm – das wird hart. Aber genau das wollte ich und es macht Spaß – hört sich nicht so an, ne? Der Weg ist wie eine Achterbahn meiner Gefühle. Ich liebe es…

Entscheidung, Dominik! Gehst du den linken oder den rechten Weg?

Tagebucheintrag von Dienstag, den 21.07.2015:

Tag 5, Strecke: Koblenz – Bad Salzig, 34km – ca. 1.050hm

Nachts von Tag 4 auf Tag 5: Ich kann nicht schlafen. Der Weg hat mich endgültig in seinem Bann. Die Zeit alleine ist intensiv und fühlt sich gut an. Morgen wird hart aber ich habe mir vorgenommen, regelmäßiger Pausen zu machen und immer wieder die Schuhe zu wechseln. Gerade ist es still. Eine Seltenheit in diesem Hotel, in dem die Güterzüge die ganze Nacht rattern und meinen Kopf nicht ruhen lassen. Doch es hat etwas Magisches…

Tag 5: Immer noch Dienstag. Heute der Weg von Koblenz nach Bad Salzig war hart und lang. Morgen starte ich früher, damit ich mal vor 19 Uhr in der Unterkunft bin. Am Donnerstag kommen Katrin und Daniel, da will ich fit sein.

Meine Beine gewöhnen sich langsam an die Belastung. Sie waren trotz 34km nicht so müde wie gestern – gerade sind sie aber schwer wie Blei. Immer dann dient mir das Handy als Ablenkung. In letzter Zeit genieße ich es, das Handy häufiger auszuschalten. Ich fange an, mir selbst auf dem Weg zu vertrauen. Es kostet mich manchmal noch Überwindung und ich werde nervös, sobald 200m kein Schild kommt – aber es wird besser.

Eine Erkenntnis habe ich bereits gewonnen: Sport hilft mir dabei den Kopf abzuschalten. Die Verausgabung wenn ich mich einen Berg hochquäl‘ kann einfach nichts ersetzen. Auch die Einsamkeit gefällt mir, sie kann zugleich jedoch auch sehr grausam sein. Mir fallen die Augen zu…

Der Rhein ist immer wieder faszinierend – vor allem, wenn er so verläuft wie hier in der Nähe von Boppard

Tagebucheintrag von Mittwoch, den 22.07.2015:

Tag 6, Strecke: Bad Salzig – Oberwesel, 26km – ca. 1200hm

Ich bin heute erst etwas später los gekommen. Ich komme morgens früh noch nicht so richtig in Tritt. Mit allem drum und dran benötige ich 1,5 Stunden und das ist eindeutig zu lange. In den Pilgerherbergen kann ich das nicht machen, da ich dort spätestens um 8 oder 9 Uhr raus sein muss. Deshalb stelle ich den Wecker jeden Tag um 6 Uhr, um möglichst früh aufzustehen und mich an die Zeiten zu gewöhnen.

Ich habe Respekt vor den nächsten Tagen da ich sehr lange Strecken, teilweise mit mehr als 40km, geplant habe. Glücklicherweise bin ich morgen nicht allein unterwegs. Katrin und Daniel begleiten mich, worauf ich mich wirklich riesig freue. Die beiden bringen auch Verpflegung mit, was für mich absolut genial ist. Hier in der Nähe gibt es nämlich keinen Supermarkt.

Das Schmerzen meiner wird Füße von Tag zu Tag besser. Was mir größere Sorgen bereitet, sind meine Socken. Durch sie bekomme ich an den Beinen wunde Stellen und das nervt. Ist das mein symbolischer Rucksack, den ich neben dem „Ungetüm“ auf meinem Rücken zu tragen habe?!

Die Strecke heute von Bad Salzig nach Oberwesel war mit 26 Kilometern relativ entspannt. Sie hatte ordentlich Höhenmeter zu bieten. Das Tolle ist, dass mit den Höhenmetern auch super Ausblicke einhergehen. Was ich nicht erblicke – auch nicht aus der Vogelperspektive – sind andere Wanderer. Ich bin teilweise tagelang allein unterwegs ohne einem einzigen Menschen zu begegnen (abgesehen von dem Hotelier am Abend).

Die Einsamkeit gibt mir Zeit, über die essentiellen Fragen nachzudenken: Wo soll es in meinem Leben hingehen? Wer und was ist mir wirklich wichtig? Wie wird meine berufliche Zukunft aussehen? Will ich überhaupt nochmal einen „normalen“ Job? Welches Leben will ich leben? Weiterhin beschäftigen mich persönliche Dinge aus meiner Vergangenheit und die Frage, warum ich das hier eigentlich mache. 3.200km zu Fuß?! Bin ich eigentlich bescheuert?!

Ich könnte noch so viel schreiben, aber es ist schon wieder spät und morgen kommen Katrin und Daniel. Deshalb gehe ich jetzt schlafen…

Mit diesem Bild habe ich es in die Rheinpfalz-Zeitung geschafft. In dieser wurde ein Artikel über meine Reise veröffentlicht

Tagebucheintrag von Donnerstag, den 23.07.2015:

Tag 7, Strecke: Oberwesel – Bingen, 45km – ca. 1900hm

Heute haben mich Katrin und Daniel begleitet. Es ist immer wieder wunderbar mit den beiden unterwegs zu sein. Durch die guten Gespräche vergeht die Zeit wie im Flug und ich habe, nachdem sie sich nach 33km Richtung Bahnhof verabschiedet haben, weitere 12km drangehängt, weil die angedachte Unterkunft mal wieder ausgebucht war. Das war bestimmt Karma: in einem Hotel mit dem Namen „Jägerhaus“ hätte ich mich wahrscheinlich sowieso nicht wohl gefühlt. Dass ich mich problemlos 45km auf den Beinen gehalten habe, liegt auch an der Verpflegung durch die beiden. Sie hatten sehr viele leckere Sachen dabei und haben mir einiges als Proviant für morgen hier gelassen: damit ich auch morgen noch lecker essen kann.

Jetzt bin ich müde – 45km gehen nicht spurlos an mir vorüber. Ich freue mich auf den Podcast mit den beiden – yeeeha!

Katrin und Daniel von beVegt.de haben mich einen Tag lang begleitet – über meine Reise habe ich einen Podcast mit ihnen gemacht. Hör‘ mal rein!

Das war Woche 1 meines Jakobsweg-Tagebuchs. Schau dich gerne weiter auf meinem Blog um unter hinterlasse mir einen Kommentar. Der Blog befindet sich gerade ein wenig im Wandel und ich freue mich, wenn du mir 2min deiner Zeit schenkst. Vielen Dank!

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