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Hier erscheint jeden Tag ein neuer Tagebucheintrag aus der neunten Woche meiner 88-tägigen Reise auf dem Jakobsweg. In dieser Woche habe ich jeden Tag einen Tagebucheintrag geschrieben.
In der neunten Woche habe ich folgende Strecken zurückgelegt:
Falls du gerade erst auf mein Tagebuch stößt, findest du hier die Einträge aus den anderen Wochen:
Der neuste Tagebucheintrag steht jeweils unten. Du kannst meinem Kopf beim Rattern und Springen von A nach B zusehen – viel Spaß dabei.
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[timed ondate=“20170911″]Tagebucheintrag von Freitag, den 11.09.2015:
Tag 57, Eauze – Aire-sur-l‘Adour, 47km – ca. 260hm
Heute war ein guter Tag. Auch wenn meine Beine und Füße wehtun – aber bei dem dritten Ultramarathon in Folge dürfen sie das auch.
Die Strecke von Eauze nach Aire sie l’Adoure war nicht supertoll aber auch alles andere als hässlich. Nach anfänglichem Nebel kam nachher wieder die Sonne durch – mein Nacken glüht. Und das obwohl ich niemals gedacht hätte, dass ich noch Sonnenrand bekommen kann. So kann man sich täuschen.
Unterwegs ist nicht viel passiert, ich habe nur sehr sehr wenige Pilger getroffen. Das liegt wohl daran, dass 27km vor Aire sur l’Adoure nichts mehr ist. Bis hierher. Und viele, die von Eauze aus gegangen sind, sind nicht bis hierher gegangen. Diejenigen, die hinter Eauze angefangen haben, waren wohl etwas früher hier als ich. So langsam verschwinden meine Schulterschmerzen auch wieder und mein Fuß hat heute nicht mehr wehgetan.
Heute bin ich in einer Herberge, in der alle zusammen in der großen Runde gegessen haben. Dabei saß ich zwei Belgierinnen gegenüber, von denen eine sehr gut deutsch spricht: Fanny, eine sehr sympathische Frau. Vielleicht geh ich morgen mit den beiden und ihrem Freund Richtung nächstes Ziel, da die drei sogar die gleiche Unterkunft haben wie ich. Oder ich laufe doch schneller, um noch Fußball zu schauen. Ich weiß es noch nicht.
Außerdem ist ein weiterer Deutscher hier in der Unterkunft und mir ist mal wieder die deutsche Mentalität aufgefallen. Ich bin leider oft genau so. Ich habe gerade mit Fanny über meinen Trip gesprochen, da kam von der Seite: „Aber beim Pilgern sollte man den sportlichen Ehrgeiz in den Hintergrund stellen“. Sagt wer? Manchmal habe ich das Gefühl, Menschen wollen immer wissen, wie alles zu laufen hat. Dabei gehen sie von ihrem Weltbild aus und wollen es anderen auch aufdrängen bzw. überstülpen. Stop this! Wenns mir beim nächsten mal bei mir auffällt, entschuldige ich mich! Und jetzt geh ich schlafen. Fast 11 Uhr. So spät war es schon ewig nicht mehr. Gute Nacht.
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[timed ondate=“20170912″]Tagebucheintrag von Samstag, den 12.09.2015:
Tag 58, Aire-sur-l‘Adour – Arzaq-Arraziguet, 33km – ca. 250hm
Heute war irgendwie ein komischer Tag. Ich kann nicht mal richtig beschreiben, warum er komisch war. Aber er wars. Der Weg heute war nicht übermäßig anstrengend, aber das Wetter hat ihn schwer gemacht – es hat den ganzen Tag geregnet.
Ich hab die 2.000km-Marke geknackt und hab den Handstand, den ein Kumpel vorgeschlagen hat, gemacht. Es klappte viel besser als ich dachte. Ich hab es schon beim zweiten Mal mit dem Selbstauslöser hinbekommen und der Handstand hat echt super funktioniert. Ich hab mich gefühlt wie der Größte, es war ein absolut geiles Gefühl. Aber dann wurden wieder alle meine Sachen nass. Für das Regenproblem muss ich mir echt was einfallen lassen. Die Kleidung ist super aber den Rucksack muss ich irgendwie schützen. Das nervt mich und das macht es mental anstrengend, weil die Sachen abends nicht trocken. Dabei war ich heute schon super früh an der Herberge. Aber wenn die Luft feucht ist, wird das eben nichts. Eigentlich darf ich mir deswegen keinen Stress machen. Ich versuche einen Poncho oder eine Regenhülle für den Rucksack zu bekommen und dann passt das schon. Ändern kann ich es eh nicht, also scheiß drauf. Es ist eben so. Komm damit klar.
Danach habe ich dann in der Gite Simon und Simone kennengelernt. Zwei sehr interessante und dennoch irgendwie „andere“ Menschen. Simon wohnt in einer „Community“ und Simone hat nicht mal einen Wohnsitz. Sie ist eine moderne Nomadin. Vom Lebensstil her finde ich das eigentlich sehr sehr cool. Die beiden verbinden das stark mit christlichem Glauben, was nicht ganz mein Fall ist. Aber wir haben wirklich schöne Gespräche geführt und es war ziemlich interessant. „Die Liebe ist das einzige was zählt“ – sagen sie. Ich habe zugestimmt. Christlicher Glaube oder nicht, man kann dennoch auf einem Nenner sein. Liebe ist alles. Ein schönes Wort zum Samstag.
Nachtrag zum 12.09.: Die Russin im Zimmer hingegen bringt das Schlechte in mir hervor und es das mit der Liebe fällt mir schwer. Sie ist irgendwie „zickig“ und ich kann nicht wirklich was mit ihr anfangen. Übe dich in Liebe und Güte, Dominik!
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[timed ondate=“20170913″]Tagebucheintrag von Sonntag, den 13.09.2015:
Tag 59, Arzaq-Arraziguet – Maslaq, 40km – ca. 600hm
Der heutige Tag verging wie im Flug. Und das, obwohl es 40km von Arzacq bis nach Maslacq waren. Es hat auch nur sehr wenig geregnet, getropft ist eigentlich der bessere Ausdruck. Dabei hab ich gedanklich gar nicht so viel gearbeitet. Es war ein „der Kopf ist frei“-Tag, zumindest annähernd. Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, die Beine tun mittlerweile einfach von selbst das, was sie tun müssen. Das fühlt sich wirklich super an.
Auf der anderen Seite habe ich dann doch immer wieder den Griff zum Handy. Das nervt mich sogar selbst. Irgendwie kann ich es noch nicht abstellen. Deutliche Zeichen einer Sucht, wenn ich mal genauer drüber nachdenk‘. Irgendwie schon besorgniserregend.
Ich schreibe immer wieder mit meinem besten Kumpel – wir wollen was bewegen. Darauf freu ich mich echt, ich glaube, das kann groß werden. Das wäre genial.
Nicht mehr lange, dann bin ich in Saint Jean Pied de Port und dann geht das Pilgern gefühlt so richtig los. Ich freu mich darauf, viele Menschen und viele verschiedene Weltanschauungen kennenzulernen. Ich will offen sein für neues, so let’s go. Heute in der Gite in Malaq sind drei ältere Damen mit mir im Zimmer, die leider alle nur französisch sprechen. Das ist echt ein Problem. Aber auch das Sprachproblem löst sich hoffentlich, sobald ich aus Frankreich raus bin.
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[timed ondate=“20170914″]Tagebucheintrag von Montag, den 14.09.2015:
Tag 60, Maslaq – Aroue, 41km – ca. 600hm
Heute ist einer dieser Tage, die ich nie vergessen werde. Und es hat klick gemacht. Jedoch erst im Nachhinein. Danke Simone. „Es geht im Leben nur um Liebe.“, sagte sie. Ich sagte: “ Und um leben“. Sie aber entgegnete: „Lieben ist leben.“ Und ich glaube sie hat recht. Ich glaube es ist so „einfach“: der Sinn des Lebens ist die Liebe.
Egal, ob im Umgang mit anderen Menschen, mit dem einen besonderen Menschen, mit unserem Job oder unserem Hobby. Ohne Liebe machen wir das, was wir machen nicht „aus vollem Herzen“ und damit nicht so gut wie wir könnten. Jeder Krieg wird nur deshalb geführt, weil irgendwer Hass für jemand anderen oder sogar ein ganzes Volk hat. Vielleicht auch aus fehlender Selbstliebe. Denn damit fängt Liebe an. Dort muss sie anfangen. Nur wenn wir uns selbst lieben, so wie wir sind, können wir auch andere lieben. Erst wenn wir uns so lieben wie wir sind, ist Neid absolut unnötig. Erst wenn wir uns so lieben wie wir sind, können wir andere auch so sein lassen wie sie sind. Anders als wir. Und das ist OK.
Doch so einfach ist das nicht und ich merke es täglich, obwohl ich mir Mühe gebe. Ich kann nicht jedem mit Liebe und einem offenen Herzen gegenübertreten, obwohl ich das gerne würde. Wie sollen es dann erst Menschen können, die es nicht mal versuchen wollen. Das ist das Paradoxon. Der Sinn des Lebens ist so einfach und doch so schwer. So leicht auszusprechen und doch so schwierig umzusetzen, selbst gegenüber Menschen, die uns sehr nahe stehen. Ich verwechsle oft die Selbstliebe auch mit Selbstverliebtheit, Selbstüberzeugtheit und damit auch mit Selbstüberschätzung. Wenn jeder sich jedoch genauso lieben würde wie er ist und zu seinen Macken und Fehlern stehen würde und zusätzlich auch noch das tut, was er wirklich liebt, gäbe es weniger Krieg, weniger Hunger und weniger Leid auf dieser Welt – davon bin ich überzeugt. Niemand müsste sich egal auf welche Art über andere stellen, sei es durch Geld, Herabstufung oder Verachtung anderer, durch Quälen oder sogar Töten von anderen Lebewesen. Weil jeder sich genau so genügen würde, wie er ist. Die Meinung anderer (nicht nahestehender Dritter) zählt nämlich genau ab dem Moment nicht mehr, ab dem man sich selbst zu 100% akzeptiert. Das ist der erste Schritt zu Nietzsche Übermenschen. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich bin mir jedoch sicher, dass damit der Menschheit schon sehr viel geholfen wäre.
Ich liebe den Weg, weil er mir wirklich genau das gibt, was ich brauche. Heute habe ich keinen Platz in der Gite bekommen und musste auf eine andere Unterkunft ausweichen. Hier gibt es jedoch eine Epicerie (und sie haben als einziges Obst Bananen) und ich habe ein Einzelzimmer für 15€ inkl. Frühstück nach gefühlt einer Woche mit Schnarchern.
Ich habe heute im Regen getanzt und war einfach glücklich und zufrieden mit dem, was ich getan habe. Und wenn ich das zu Hause nicht bin, tu ich es nicht. Das ist der einzige Weg wie leben funktioniert. Dazu muss man auch nein sagen und damit andere mal vor den Kopf stoßen können. Auch das werde ich lernen. Saint Jean Pied de Port, ich komme! Heute war übrigens Tag 60, da kann man ja auch nur gut gelaunt sein, oder?!
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[timed ondate=“20170915″]Tagebucheintrag von Dienstag, den 15.09.2015:
Tag 61, Aroue – Larceveau, 27km – ca. 300hm
Heute war ein sehr interessanter Tag. Als ich losgegangen bin, dachte ich noch, ich würde heute in Saint Jean Pied de Port landen. Aber ich habe mal wieder Maartens Rat befolgt: „Go with the flow, bro!“.
Gleich am Morgen habe ich Burkhard und Elias getroffen. Der Weg ist so witzig: Burkhard ist eine Bekanntschaft von Michael. Michael hat immer von ihm erzählt. Dabei war ich am Anfang nicht so richtig von begeistert, als ich hörte, dass er „aus meinem alten Leben ist“. IT. Das kann ja nichts sein, dachte ich. Beim Abendessen habe ich aber gemerkt, was für ein gebildeter Mann er ist und wie gut man mit ihm reden und diskutieren kann. Ein schweizer Paar und eine einzelne schweizer Dame waren mit uns am Tisch. Wir haben uns gut unterhalten, Gabi, Burkhard und ich bliebe am längsten sitzen. Wir redeten über Politik, Führungskultur und die wichtigen Sachen des Lebens. „Die ethische Verantwortung das beste aus uns herauszuholen“ wie Burkhard sagen würde. Bei dieser Aussage habe ich den Itler nicht mehr erkannt.
Der Weg lehrt mich immer wieder, dass Schubladendenken zwar einfach ist, sich aber oft nicht lohnt. Nicht nur schwarz und weiß, nicht nur IT mit 1 und 0. Sondern mehr. In jedem Menschen. Bei dem einen merkt man es, bei dem anderen nicht. Elias ist stumm und redet nur wenig. Er ist leise. Wahrscheinlich hat auch er viel zu sagen, aber er traut sich nicht oder will nicht. Laut sein und palavern konnte ich schon immer. Andere können das nicht. Auch das ist OK.
Morgen geht es nach Saint Jean Pied de Port und ich bin am Überlegen, ob ich nicht schon die ersten 22km Richtung Irun machen soll. Aber ich kann den morgigen Tag noch entspannt angehen. Genug Zeit bis Bilbao, wo mich meine Freundin evtl. besuchen will, hab ich locker. Der Weg gibt Dir, was du brauchst Dominik, du musst Dich nur drauf einlassen…
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[timed ondate=“20170916″]Tagebucheintrag von Mittwoch, den 16.09.2015:
Tag 62, Larceveau – Saint-Jean-Pied-de-Port, 19km – ca. 150hm
Jetzt ist es offiziell. Meine Freundin wird nicht kommen. Schade. Sehr schade. Ich hätte sie echt zu gern in meine Arme geschlossen und sie geküsst. Aber vielleicht ist es besser so, denn der Abschied wäre wahrscheinlich noch viel härter als zu Beginn.
Heute sind wir nur von Larceveau nach Saint Jean Pied de Port gegangen und am Anfang wollte ich echt nur hier raus. So viele Touristen, so viele neue Pilger, so viel Trubel und Lärm. In großen Städten rechne ich damit. SJPdP habe ich mir idyllischer vorgestellt. Aber egal. Wir hatten ein gutes Mittagessen und eine schöne Verabschiedung von Gabi.
Morgen geht es dann wieder alleine weiter. Irgendwie werde ich ziemlich schnell ungeduldig und mache lieber mein eigenes Ding. Ich möchte weder dauerhaft langsam machen noch den großen Konkurrenzkampf und Kilometer vergleichen – ich will einfach nur mein Ding machen. Von daher passt das schon und morgen wird auch schön anstrengend – da wird der Kopf frei. Spanien, ich komme.
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[timed ondate=“20170917″]Tagebucheintrag von Donnerstag, den 17.09.2015:
Tag 63, Saint-Jean-Pied-de-Port – Espelette, 39km – ca. 1.500hm
Es ist schon wieder eine Woche rum. Das merke ich immer wenn ich mit meinem Bruder telefoniere.
Morgen sind bereits 9 Woche vorbei. Mit der Ankunft in Spanien bin ich dann auch auf der Zielgeraden. Komisches Gefühl irgendwie. Ein lachendes und ein weinendes Auge, wie immer. Ying und Yang. So soll es sein, so muss es sein. Das eine Teil wäre ohne das andere nichts. Ich glaube, das ist eines der Geheimnisse des Lebens.
Heute war ein cooler Tag, der „Reiseführer“ im Internet hat für die Strecke 11,5 Stunden vorgesehen. Deswegen hatte ich schon etwas Respekt davor. Aber ich war nach acht Stunden durch.
Ich bin wirklich mal gespannt, wie das morgen in Spanien wird mit Unterkunft und so. Ich kann kein spanisch. Und das ist nicht gut. Aber auch das wird funktionieren. Sind ja „nur“ noch vier Wochen. Hier in Espelette habe ich noch den Schweizer Patrick kennengelernt. Er ist seit 14. April unterwegs, war schon in Rom und in Gibraltar und geht jetzt auch auf den Camino del Norte.
Er ist cool und doch irgendwie strange. Er schläft heute in der Küche, weil sich das Paar, das noch in die Herberge gekommen ist, nicht hier zu mir ins große Zimmer, sondern zu ihm ins kleine gelegt hat. Ich hab mich hier auch sehr breit gemacht und war am Telefonieren als sie kamen, von daher hab ich ein schlechtes Gewissen. Aber ich wusste nicht mal, dass das Zimmer hier größer ist als das andere.
Naja, er meint, es sei kein Problem für ihn. Ich glaub ihm einfach mal. Ändern kann ich es eh nicht. Ich bin auf Spanien gespannt. Aufregung pur. Raus aus der Komfortzone. Jeeeha.
Mit diesem Eintrag endet die neunte Woche meines Tagebuchs.
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Hier geht’s zu den vorherigen Tagebucheinträgen:
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